Die Menschen fürchteten sich heute, weil Gott ihnen fern gerückt erscheine. Die Gottesferne erzeuge eine innere Leere, die Angst mache. Es sei die Angst um die Gesundheit, Angst vor vergifteten Nahrungsmitteln, Atomangst, die Angst vor Fremden, vor Flüchtlingen, vor dem Islam und vor der Islamisierung Europas.
Zweifellos gebe es jeweils Gründe für solche Ängste, aber wenn sie zu einer Hysterie führten, seien sie rational nicht mehr zu steuern. Sie könnten dann leicht in blinden Hass und in sinnlose Gewalt umschlagen, warnt Kardinal Kasper. Gottes Botschaft laute jedoch „Ich bin es. Fürchtet euch nicht!“ Dies sei die Botschaft des gegenwärtigen Jahres der Barmherzigkeit.
Europa sei nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs eine große Hoffnung und eine große Erfolgsgeschichte gewesen. Jetzt scheine Europa in einen Strudel und die Welt aus den Fugen geraten zu sein, so Kasper: „Unerhörte brutale Gewalt, Kriege, Millionen von Menschen auf der Flucht, eine Verrohung der öffentlichen Diskussion und gleichzeitig eine Globalisierung der Gleichgültigkeit, in der jeder, auch jedes Volk meint sein eigenes Schäfchen ins Trockene führen zu können.“
„Fürchtet euch nicht!“ Das hätten sich die Gründerväter des modernen Europa nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs gesagt. Sie seien als Politiker von großem Format zugleich überzeugte Christen gewesen. Aus ihrem Glauben hätten sie den Mut zu einem Neuanfang geschöpft. Heute fragten sie die Menschen: „Europa, wo sind deine Ideale geblieben? Hat euch der Mut verlassen, weil ihr die geistigen Fundamente, auf die alles gebaut war, vergessen habt?“
Kardinal Kasper ermutigte die Christen „Kirche im Aufbruch“ zu sein, wie Papst Franziskus es gesagt habe. So hätten es die Gründerväter Europas in einer nicht weniger bedrängenden Situation mit Mut und mit Gottvertrauen getan.
Kardinal Walter Kasper hatte am Freitag, dem 8. April im Krönungssaal des Aachener Rathauses einen Vortrag über die Persönlichkeit und das Wirken von Papst Franziskus, dem Karlspreisträger 2016, gehalten.
Der 1933 in Heidenheim geborene Walter Kasper studierte 1952 bis 1956 Katholische Theologie und Philosophie in Tübingen und München, bevor er 1957 zum Priester geweiht wurde. 1961 wurde er zum Doktor der Theologie promoviert, 1964 habilitiert und kurz darauf auf die Professur für Dogmatik an der katholisch-theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster berufen – als damals jüngster deutscher ordentlicher Professor. 1970 folgte die Berufung an die Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Von 1989 bis 1999 Bischof der Diözese Rottenburg- Stuttgart, wurde er 1999 als Sekretär des Päpstlichen Rats für die Einheit der Christen in die römische Kurie berufen. 2001 erhob ihn Papst Johannes Paul II. zum Kardinal und ernannte ihn gleichzeitig zum Präsidenten des Päpstlichen Rats für die Einheit der Christen (bis 2010).